...jedenfalls behauptete er das. In den Dreißigern narrte der Erfinder Heinz Kurschildgen mit abstrusen Versprechen Millionäre, Geschäftsleute und Politiker - bis hin zu Heinrich Himmler. Und log sich damit fast um Kopf und Kragen.Von Manfred Franke
Zitat An einem Maimorgen im Jahr 1928 geschah Sonderbares im beschaulichen Hilden nahe Düsseldorf: Über Nacht war hier ein Denkmal errichtet worden - eine Büste mit dem Antlitz eines Mannes, der mit versunkenen, müden Augen in die Ferne blickte. Ein Denkmal, das einem ganz besonderen Sohn der Stadt gewidmet war, der angeblich einen Menschheitstraum erfüllt hatte - und dessen Namen doch kaum jemand kannte: Heinrich "Heinz" Kurschildgen. Der Goldmacher.
Kurschildgens Karriere hatte unscheinbar begonnen: 1914 hatte er als junger Mann die Lehre in einer Hildener Färberei begonnen. Die Arbeit mit Chemikalien faszinierte ihn: In einem Schuppen richtete er sich ein kleines Labor ein. Beim Flackern des Bunsenbrenners träumte er von großen Erfindungen. Er ahnte nicht, wie sehr diese Erfindungen sein Leben tatsächlich verändern sollten: Sie würden ihn reich machen und ihn ins Gefängnis bringen. Er würde auf der Flucht vor der Polizei aus dem Fenster springen, Heinrich Himmler an der Nase herumführen und schließlich für geisteskrank erklärt werden. Nicht, weil er die Erfindungen jemals gemacht hätte. Weil er sie erträumte.
Nur kurze Zeit, nachdem er sein Labor eingerichtet hatte, brüstete sich Kurschildgen damit, ihm seien sensationelle Entdeckungen gelungen. Einigen gutgläubigen Investoren machte er tatsächlich weis, er könne Gold herstellen. 1922 eröffnete die Staatsanwaltschaft Elberfeld daraufhin ein Gerichtsverfahren wegen Betrugs gegen ihn. Ein Sachverständiger befand, er leide "an Geisteskrankheit, Dementia praecox" - angeborenem Intelligenzmangel. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt - mit der Maßgabe, er habe es künftig zu unterlassen, "sich mit Geldgebern unter der Behauptung, er könne Gold machen, in Verbindung zu setzen."
Der Goldmacher rettet die Nation[/size]
Kurschildgen hielt dieses Versprechen - dafür behauptete er nun aber, er könne Radium herstellen. Und das war kaum weniger kostbar als Gold: Radium galt als wichtigstes Heilmittel gegen Krebs - ein Gramm kostete 300.000 Mark. 1926 traf Kurschildgen mit einem Interessenten eine Vereinbarung: Binnen Monatsfrist sei ein "verkaufsfähiges Erzeugnis möglich". Der Vertragspartner sollte fünf Prozent vom Bruttogewinn aus der Verwertung dieser Erfindung erhalten - und zahlte dafür 1000 Mark in bar, was heute immerhin einem Wert von ungefähr 4000 Euro entspräche.
Um seine Glaubwürdigkeit zu steigern, kontaktierte der Erfinder die Universität Köln: Vor den kritischen Augen mehrerer Physiker wollte er Uran in Radium verwandeln. Was in der Natur Millionen Jahre dauerte, wollte er in einer Viertelstunde vollbringen. Er unterzog Uranoxyd einer Behandlung, die den zuschauenden Forschern jedoch nicht erklärt wurde. Sie lehnten es daher ab, sich zu den Versuchsergebnissen zu äußern. In der Presse wurde Kurschildgen dennoch nachgesagt, einen "Ersatz für reines Radium" gefunden zu haben. Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt überprüfte daraufhin seine Behauptungen - und befand sie für unhaltbar.
Daraufhin behauptete Kurschildgen 1929 trotz der gerichtlichen Auflagen wieder, Gold herstellen zu können. Ein Professor Hennig aus Düsseldorf erklärte sich zu einem Treffen bereit, und sogleich versuchte der Erfinder, ihn zu einem aberwitzigen Vertragsabschluss zu überreden: Kurschildgen versprach ihm astronomische Gewinne. Entsprechend hoch setzte er sein Honorar an: 200.000 Mark. Der Professor lehnte ab. Der Goldmacher beschloss, seine Zeit nicht länger mit Fachleuten zu vergeuden, und direkten Kontakt zur Staatsführung aufzubauen: Er versuchte, Reichspräsident Paul von Hindenburg und den Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht für Verträge zu gewinnen. Die politischen Vorzeichen schienen günstig: Die Verhandlungen über die deutschen Reparationen in Den Haag standen bevor, und mit seiner Goldmacherei wollte Kurschildgen sich als Retter der Nation gerieren. Doch Hindenburg war nicht interessiert.
Flucht durch das Toilettenfenster
Doch der Goldmacher vom Rhein ließ sich nicht beirren - und schaffte es tatsächlich immer wieder, neue Geschäftspartner zu finden: Ein Kölner Großhandelskaufmann zahlte Kurschildgen für dessen alchemistische Dienste 100.000 Mark im Voraus. Ein amerikanischer Millionär namens Harris bot ihm für sein Goldherstellungsverfahren eine Million Reichsmark und zeigte sich hochinteressiert an weiteren angeblichen Erfindungen Kurschildgens - darunter eine "Krätzeheilmaschine" und eine "Kraftschachtel".
1930 hatten 15 der von Kurschildgen mit phantasierten Erfindungen geschröpften Klienten genug und reichten Klage gegen ihn ein: Der Erfinder kam erneut in Untersuchungshaft und musste dort sein Herstellungsverfahren in Gegenwart eines Fachmanns vorführen. Kurschildgen behauptete, aus einer Flasche mit Wasser und Vogelsand Gold machen zu können. Die Flasche wurde mit einem Korken verschlossen und versiegelt, dann wurde er damit vorübergehend in sein heimisches Labor entlassen. Als tags darauf die Flasche geöffnet wurde, zeigten sich tatsächlich einige Goldatome. Doch der Experte stellte fest, der Korken sei durch Hitze an der Unterseite geschwärzt. Mit einem Draht müsse durch die minimale Öffnung Goldchlorid eingeführt worden sein.
Am 5. Juni 1930 wurde eine zweite Demonstration im Institut für Arbeitsforschung in Düsseldorf vorbereitet. Kurschildgen nutzte eine Pause während des Versuchs dazu, durch das Toilettenfenster zu springen und zu fliehen. Zwei Tage danach kehrte er freiwillig in einem Taxi zurück. Daraufhin ließ die Staatsanwaltschaft seinen Geisteszustand überprüfen. Die Diagnose lautete: "Strafrechtlich voll verantwortlich; nicht besonders intelligent". Kurschildgen wurde des Betrugs in 15 Fällen für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. 1932, ausgerechnet an einem 1. April, wurde der Erfinder, der so viele an der Nase herumgeführt hatte, wieder entlassen.
"Himmler ist auf einen Goldmacher hereingefallen."
Kaum zurück in der Freiheit, weckte Kurschildgen das Interesse der Nationalsozialisten: Er behauptete, ein Verfahren zur synthetischen Herstellung von Benzin erfunden zu haben. Wilhelm Keppler, Wirtschaftsberater Hitlers, besuchte Kurschildgen interessiert im Labor. Der Erfinder musste sich verpflichten, das in seinen Experimenten hergestellte Benzin und Gold Sachverständigen des Reichspatentamtes vorzuführen, ihnen die Wiederholung des Herstellungsprozesses zu erlauben und ausschließlich der Reichsregierung die Auswertung seiner Erfindungen zu überlassen.
SS-Obergruppenführer Dr. Werner Best, zweiter Mann in der Gestapo unter Reinhard Heydrich, wurde über Kurschildgens Forschungen informiert. Und selbst Heinrich Himmler begann, sich für ihn zu interessieren. Doch das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin erhielt einen warnenden Hinweis, der Erfinder neige zu "phantastischen Experimenten". Daraufhin bekam Kurschildgen Besuch von mehreren NSDAP-Parteigrößen, einem Wissenschaftler und einem Kriminalbeamten. Sie hielten fest, im Labor befänden sich verschiedene Behälter, von denen einer mit der Wasserleitung verbunden sei. "Nach einigen Minuten tropft aus einem Rohr brauchbares Benzin." Sonderbarerweise werde das aber immer dünner. Sie vermuteten, Kurschildgen beeinflusse den Versuchsablauf durch irgendwelche geheimen Vorrichtungen.
Der Erfinder wurde samt seiner Apparaturen nach Berlin verfrachtet, um seine Verfahren in der Technisch-Physikalischen Reichsanstalt unter Beweis zu stellen. Das Urteil war vernichtend: "Ergebnisse des K. vollständig ergebnislos". 1936 wurde Kurschildgen zur Untersuchungshaft in das KZ Columbia-Haus eingewiesen, sein Fall aber noch von einem ordentlichen Gericht in Düsseldorf verhandelt. Das Urteil lautete: drei Jahre Zuchthaus. "Wegen Fleiß und guter Führung" gewährte man ihm 1938 Haftunterbrechung, er blieb aber unter Beobachtung der Gestapo.
Kurschildgen wurde zum Politikum: Besonders für Himmler war es peinlich, auf seine Lügengeschichten hereingefallen zu sein. In einem Tagebucheintrag vom 27. Januar 1935 spöttelte Joseph Goebbels: "Himmler ist auf einen Gold- und Benzinmacher Kurschildgen hereingefallen. Wollte mich auch beschwindeln. Ich hab ihn gleich erkannt." Himmler fürchtete, Kurschildgen könne seine Beziehungen zur SS publik machen und ihn damit blamieren. Also ließ er ihn erneut in Schutzhaft nehmen. Doch Kurschildgen wandte sich hilfesuchend an Reinhard Heydrich - und erreichte die endgültige Entlassung.
[size=150]"Dem genialen Goldmäker"
Nach Kriegsende begann Kurschildgen, darum zu kämpfen, als Verfolgter des Naziregimes anerkannt zu werden. "Jedes Mittel war der Gestapo recht, um in den Besitz meiner Erfindung zu kommen", erklärte er vielsagend der Lokalzeitung "Rheinisches Volksblatt". Er stellte einen Antrag auf Wiedergutmachung - doch der wurde abgelehnt. Daraufhin bemühte er sich, den damaligen CDU-Bundesinnenminister Gerhard Schröder für sich zu gewinnen - und scheiterte auch damit. Kurschildgen griff zu einem letzten, bizarren Mittel: Vor Gericht kämpfte er für eine Wiederaufnahme des Gerichtsprozesses, der 1936 zu seiner Verurteilung geführt hatte - und ließ sich dabei ausgerechnet von einem ehemaligen SS-Obergruppenführer vertreten.
Kurschildgens alter Bekannter Dr. Werner Best wurde sein Rechtsbeistand. Dass dessen SS-Vergangenheit der Anerkennung seines vermeintlichen Verfolgtenstatus abträglich sein könnte, schien Kurschildgen nicht zu stören. Er verteidigte Bests politische Vergangenheit sogar: Dieser sei einer der wenigen Beamten gewesen, welche Schutzhäftlinge korrekt behandelt hätten. Best habe zwar mit dem NS-Regime kooperiert, aber nur, weil er "unter Druck" gestanden habe.
Best dankte ihm, indem er sich bemühte, Kurschildgens Prozesswiederaufnahme zu erstreiten. Doch das war dem Goldmacher plötzlich nicht mehr genug: Er forderte, auch seine "Erfindungen" sollten rechtlich anerkannt werden. Die Sache wuchs Best über den Kopf: Er gestand, mit seinem Latein am Ende zu sein und schlug vor, per Gnadenersuch die Löschung von Kurschildgens Eintrag im Strafregister zu erwirken. Doch ein Gnadenersuch lehnte der empört ab - er sei schließlich ein politisch Verfolgter!
Erst Jahre später schloss das Oberlandesgericht Düsseldorf den Fall ab - erfolglos für Kurschildgen. Nie sollte der Alchemist von Hilden die Anerkennung bekommen, um die er sein Leben lang gekämpft hatte. Nie sollte er als Goldmacher Deutschlands berühmt, nie Forschungsinstitute nach ihm benannt, nie Denkmäler für ihn erbaut werden. Nie - außer an jenem einen Maimorgen im beschaulichen Hilden. Als ein Apotheker eine Büste mit dem Antlitz Kurschildgens aufstellte - und einer Inschrift: "Dem genialen Goldmäker, die dankbare Vaterstadt." Sie troff vor Hohn.